Yrsa Sigurðardóttir: Todesschiff

´Yrsa Sigurðardóttir: „Todesschiff“

Wie genau ich das erste Mal auf die Fährte der isländischen Schriftstellerin mit dem klangvollen Namen Yrsa Sigurðardóttir kam, weiß ich nicht mehr. Jedoch sind mir ihre Kriminalromane „Das glühende Grab“ und ganz besonders „Das letzte Ritual“ positiv im Gedächtnis geblieben. Umso enttäuschter ließ mich „Todesschiff“ nach dem ersten Drittel zurück – denn trotz einer eigentlich spannenden Erzählweise plätschert der Roman lange Zeit vor sich hin und verliert sich in unnötigen Cosy-Crime-Einstellungen. Hätte ich nicht ohnehin ein paar Stunden im Tattoostudio warten müssen, wäre ich vielleicht niemals bis zur letzten Seite des Island-Krimis vorgedrungen – doch am Ende hat sich das Weiterlesen noch gelohnt.

Klappentext (von Fischer Taschenbuch):

Eine Luxusjacht treibt führerlos in den Hafen von Reykjavík – ein Geisterschiff. Wo sind die sieben Menschen, die eigentlich auf dem Schiff sein sollen? Gerieten sie in Seenot und treiben jetzt draußen auf dem Atlantik in einem Rettungsboot? Doch dann wird eine Leiche an Land gespült. Dieser Mensch ist eindeutig nicht im Wasser umgekommen. Wurde er auf dem Geisterschiff umgebracht?

Die aufgeworfenen Fragen verknüpfen sich zwar zu einem (blut)roten Faden in Yrsa Sigurðardóttirs „Todesschiff“, allerdings verblasst er viel zu oft angesichts der alltäglichen Familienturbulenzen von Protagonistin Dóra und dank schrulliger Nebenfiguren wie Bella.
Bei Dóra Guðmundsdóttir handelt es sich nicht um eine Ermittlerin, sondern um eine Rechtsanwältin. Dementsprechend steht die typische Polizeiarbeit weniger im Fokus als das detektivische Vorgehen der alleinerziehenden Mutter, die nur durch ihre Kinder, das Enkelkind und ihren Partner Matthias aus ihrem Workaholic-Dasein gerissen wird. Würde man beide Rollen streichen, bliebe nicht mehr viel von der Person übrig … Das klingt und ist wenig heroisch, doch bei Yrsa Sigurðardóttir sucht man generell vergeblich nach überzeichneten Helden – ihr Hang zur authentischen Schilderung von Menschen könnte an mancher Stelle langweilen, wenn sie nicht an Nebenschauplätzen interessantere, gänzlich anders tickende Figuren platziert hätte. Inwieweit das größtenteils unprofessionelle Gehabe von Bella allerdings über derart viele Seiten ausgeführt werden muss, ist vermutlich Geschmackssache. Mich nervte das trotz eines Lachers am Anfang schon früh, obwohl die besagte Dame in ihrer späteren Funktion als „der böse Cop“ so recht gut eingeführt wird.

Der Kriminalfall kommt – wie bereits angesprochen – etwas zu kurz. Nicht im Hinblick auf die Quantität, sondern vielmehr von der Wertigkeit, die das Geschehen auf besagtem „Todesschiff“ für mich als Leserin einnahm. Der kontrastreiche Wechsel zwischen dem aktuellen Handlungsstrang der Ermittlungen und den weiter zurückliegenden Geschehnissen auf der Yacht Lady K erzeugt Spannung. Die Konstruktion ist mehr als gelungen: Viele Details, beispielsweise eine einsame Coladose oder manche auf den ersten Blick etwas seltsam anmutenden Formulierungen, zeigen sich später als wichtige Bindeglieder zwischen beiden Ebenen. Die Möglichkeit des Unmöglichen ist ebenfalls clever inszeniert; es fügt sich hervorragend in die Szenerie der isländischen Rauheit und der geheimnisvollen Weite des Meers ein: „Brynjar hatte nämlich mit eigenen Augen gesehen, dass die Vögel das Schiff mieden, sich nie darauf niederließen und anscheinend auch nicht darüberflogen. Natürlich konnte das Zufall sein, musste Zufall sein. Aber trotzdem. In der Nacht, nachdem die Yacht an ihren jetzigen Platz gebracht worden war, hatte er ein paar Fische bemerkt, die tot neben ihr im Meer schwammen. Er konnte sich nicht erinnern, dass er jemals mehr als einen einzelnen Fisch tot im Wasser treiben gesehen hatte. Das war doch ein Zeichen für etwas Unnatürliches.“ (Yrsa Sigurðardóttir: „Todesschiff“)

Mit den Figuren auf der Yacht fieberte ich erst spät, aber dafür immer noch mit, als längst klar war, dass es für sie kein Happy End geben kann. Trotzdem bleibt der Impact ihres Schicksals auf weiten Strecken hinter dem des wesentlich seichteren Familiendramas von Dora zurück.
Für mich liegt das zum einen an den nur schlecht fassbaren Figuren: Ægir ist schrecklich austauschbar, bis er sich der eigenen Sterblichkeit bewusst wird. Seine Frau Lára wirkt zeitweise etwas beschränkt; die Töchter scheinen ihr Alter mit den Kapiteln zu wechseln, so uneinheitlich wird ihr Verhalten geschildert (laut Buch sind sie acht). Summa Summarum erwecken sie alle kaum Sympathie, ohne dass sie einem stattdessen Anlass für starke negative Gefühle geben würden. Zum anderen nehmen die Cosy-Crime-Elemente um Dóras Familie und einige schillernd-einseitige Persönlichkeiten, die sie in ihrer Rolle als Rechtsanwältin trifft, viel Raum ein, wodurch sich die Tragik der vorherigen Ereignisse gar nicht erst entfalten kann.

Darüber hinaus störte mich der permanent erhobene Zeigefinger, der vornehmlich, jedoch nicht allein durch Dóras Perspektive zu erkennen ist: Es scheint, als ließe sich jedes Unglück vermeiden, wenn man einfach nur mit dem zufrieden ist, was man hat. Wer zu viel für sich möchte, wer mehr von seinem Leben erwartet, der wird vom Schicksal, einem Gott oder wovon auch immer bestraft. Für eine Fiktion ist mir das zu einheitlich kleinkariert.

Trotzdem ist „Todesschiff“ handwerklich exzellent. Vermeintliche Ungereimtheiten erweisen sich allesamt als clever angelegte falsche Fährten, die bereits beschriebene Detailverliebtheit sorgt für ein stimmiges Gesamtbild des Plots und keine der Entwicklungen wirkt erzwungen, obwohl beinahe bis zuletzt ungeklärte Fragen und viele Szenarien möglich bleiben.
Das tatsächliche Ende des Krimis … Um es einigermaßen spoilerfrei auszudrücken: KRAWUMMS. Und nein, das ist nicht der Stein, der dir vom Herzen fallen wird.

 

 
Noch vier von fünf Ballen.