Tanja Hanika: Der Angstfresser

Tanja Hanika: Der Angstfresser

Bei der Suche nach beliebten Horrorautoren zeigt sich schnell, dass das generische Maskulinum hier ein schlechtes Omen ist. Der Großteil der Listen wird von den üblichen Verdächtigen angeführt: Stephen King, Clive Barker, Jack Ketchum, Edgar Allan Poe und H. P. Lovecraft. Natürlich handelt es sich dabei um Größen des Genres, auf die ich selbst nicht verzichten möchte (auch wenn ich beispielsweise Lovecraft für maßlos überschätzt halte) und ohne die meine Leidenschaft für Horror vermutlich nie geweckt worden wäre. Die Romane von Stephen King habe ich als Kind gefressen, seitdem ich mit zehn Jahren regelmäßig die Stadtbibliothek aufsuchen konnte. Und obwohl ich über Ketchum erst ziemlich spät stolperte, hat mich sein Tod sehr betrübt. […] Weniger prägende Autoren, die ich trotzdem gerne las oder immer noch lese, waren in ihren Stilen und Themen recht unterschiedlich, eines hatten sie jedoch alle gemeinsam: den Sexus.

Daher begab ich mich gezielt auf die Suche nach Schriftstellerinnen, die sich dem Horror verschrieben haben – und stieß leider auf ein großes schwarzes Nichts, das von einigen wenigen roten Spritzern durchsetzt war. Das zeigt sich nicht zuletzt an meinen bisherigen Rezensionen: Monica J. O´Rourke und Faye Hell (für mich die unangefochtene Horrorqueen) sind bislang die einzigen Autorinnen, dich sich in dieser Kategorie finden lassen. Via Twitter erhielt ich glücklicherweise den Tipp, mich Tanja Hanikas aktuellem Roman zuzuwenden, was sich in jedem Fall gelohnt hat.

Kennst du eine Horrorautorin, die ich noch entdecken sollte? Schreib mich an!
(Selbstnominierungen sind natürlich erlaubt.)

Der Klappentext vom Angstfresser brachte mich sofort zum Schmunzeln, weil er mit einem Element beginnt, das sich wie ein Leitmotiv durch das Werk von Stephen King zieht. Natürlich ist die Rede vom durchtriebenen Horrorautor, der dem Wahnsinn verfällt und in der Wirklichkeit die Rolle des Bösewichts übernimmt.

Klappentext (von Tanja Hanika:):

Angst, Blut und Schmerz.
Chester Harris will mehr davon. Er ist Horrorautor und es stellt ihn nicht länger zufrieden, die Leser mit seinen Gruselgeschichten zu erschrecken. Daher lädt er zu einem Horrorabend ein, der seinen ahnungslosen Gästen alles abverlangt. Sie müssen ein Spiel um Leben und Tod überstehen, indem sie die eigenen Grenzen überschreiten. Angst, Blut und Schmerz stehen auf Chesters Speiseplan und er wird viel davon bekommen.
Warnung: Der Horrorroman enthält explizite Gewaltdarstellungen und abstoßende Details.

Die Einladung einer Handvoll Unwissender kenne ich vor allem als Setting aus Horrorfilmen, von denen es ebenso viele gelungene wie miserable gibt. Tanja Hanika hält sich in „Der Angstfresser“ nicht mit irgendwelchem Vorgeplänkel auf, sondern empfängt die Leser*Innen direkt mit einem blutigen Potpourri aus bekannten Motiven des Genres. Über den Gastgeber Chester Harris erfährt man bereits im Prolog, dass er seine Mutter abgrundtief hasst und hierfür gute Gründe hat. Die anderen Figuren bleiben zunächst im Hintergrund, was sich gut in das Konzept der Show einfügt, die Chester ihnen darbietet, bevor sie selbst zu unfreiwilligen Akteuren werden.

Da sich durch den plötzlichen Einstieg keine Verbindung zu den Figuren aufbauen kann, verpufft die Schilderung der Folter (an dieser Stelle) ein wenig, und mache Dialoge muten etwas gekünstelt an. Doch für die anschließenden – aus unterschiedlichen Perspektiven erzählten – Kapitel gilt das weniger: Sie wirken in der Regel authentisch, geben interessante Einblicke und lassen eine stimmige Geschichte entstehen. Lediglich die Motivation für den ein oder anderen Gesinnungswandel könnte deutlicher skizziert werden, da manche Umbrüche etwas zu hart und damit für mich als Leserin nicht nachvollziehbar sind.

An Spannung fehlt es dafür an keiner Stelle, weshalb ich Tanja Hanikas Roman innerhalb weniger Stunden ausgelesen hatte. Ein weiterer großer Pluspunkt ist, dass die Horrorelemente nicht nur als Randerscheinung auftreten, sondern einen Großteil der Geschichte ausmachen – vor allem Genrefans wird begeistern, wie stark die Autorin dabei auf die klassischen Stilelemente bekannter Werke Bezug nimmt. Und auch an Gore-Details spart sie nicht:
„Den Zeigefinger bohrte er tiefer und tiefer in das weiche, sich zersetzende Fleisch, bis es tatsächlich nachgab und einriss. Frank übergab sich wie nie zuvor in seinem Leben. Der kalte Schleim, der sich um seinen Finger legte, wirkte lebendig. Klitzekleine Bewegungen konnte er spüren, die von den Maden stammen mussten, die sich munter durch das tote Fleisch fraßen.“ (Tanja Hanika: „Der Angstfresser“)

Eine zusätzliche Ebene des Romans steht in enger Verbindung mit dem Beruf des Protagonisten – die Welt des Schreibens und der Bücher spielt eine große Rolle in „Der Angstfresser“. So werden die Selbstzweifel von Chester und die Vorbehalte seiner Mutter gegenüber dem Schriftstellerdasein ebenso thematisiert wie in Form von Ethan Josephson ein „verhinderter Autor“ erscheint, der im Spannungsverhältnis von Brotjob und Kreativität seiner finanziellen Sicherheit den Vorzug gibt. Zudem ist die ganze (moderne) Riege des Literaturbetriebs zu Gast bei Chester Harris: der Verleger, der Kritiker, die Buchbloggerin, ein Fernsehjournalist und sogar eine Bibliothekarin, mit der Tanja Hanika sämtlichen Klischees um weibliches Bibliothekspersonal lächelnd den Stinkefinger zeigt. Falls dich die Autorin also irgendwann zu einem besonderen Abend einlädt, solltest du vorgewarnt sein … 😀

 

 
Drei von fünf Ballen.