Manuel Schulte: Memorabilia

Manuel Schulte: Memorabilia

Der Autor Manuel Schulte sagt von sich selbst, er wisse nicht immer, wo er (genretechnisch) hingehöre – das kann ich nach der Lektüre von „Memorabilia“ nur bestätigen: Was sich erstmal ein wenig wie Science Fiction anliest, wird unterbrochen von diversen Hardcore-Einlagen und mündet in ein Drama aus Trostlosigkeit und Verzweiflung. Für mich liegt darin aber keine Schwäche des Romans, sondern seine Stärke: „Memorabilia“ überzeugt durch die vielfältigen Tonlagen, die Schulte gleichermaßen mit Exzessen und Verdruss am Leben füllt. Die Handlung ist nicht sehr komplex, doch nicht eine der Episoden wirkt wie Füllmaterial – gerade nach der Lektüre des gesamten Textes zeigt sich die durchdachte Struktur des Romans.

Klappentext (vom Blutwut-Verlag):

In einer Welt ohne Regeln – was für ein Mensch wärst du?
Geschlechtskrankheiten? Kein Problem.
Überdosis? Egal.
Mord? Immer wieder gern.

Fred ist ein Auftragskiller mit hundertprozentiger Erfolgsquote. Warum? Er kann sich besser als jeder andere auf seinen Job vorbereiten, denn Fred erlebt seit fünf Jahren immer wieder denselben Tag – ohne Grenzen, ohne Sorgen. Allerdings bringt diese Zeitschleife nicht nur Vorteile mit sich. Das Leben wird für Fred unerträglich langweilig. Selbst diverse Nahtoderfahrungen, sadistische Spielchen oder zwanglose Orgien bringen kaum noch den gewünschten Kick. Fred will ausbrechen aus diesem Hamsterrad, doch sein Auftraggeber, der in diesem Zeitschleifenkonstrukt die Fäden zieht, droht ihm mit Höllenqualen. Außerdem ist da ein geheimnisvoller Unruhestifter und Zoe, die Freds Welt komplett auf den Kopf stellt. Das vermeintliche Paradies hat plötzlich Risse. Kann er entkommen? Und wenn, was kommt danach?

Der Klappentext löste bei mir leichte Assoziationen zu dem Actionfilm Looper aus – doch in „Memorabilia“ fehlen zunächst erklärende Hintergründe; die Leser*Innen wissen genauso wenig wie der Protagonist über dessen Situation; Freds Brutalität wird hingegen mit viel Liebe zum Detail geschildert. Auch der Plot ist ein gänzlich anderer, in beiden Fällen werden jedoch atmosphärisch dichte Welten geboten. Besonders die Isolation von Fred und seine damit verbundene Einsamkeit, die kuriose, grausame und tragische Auswüchse hat, lassen sich nicht nur nachlesen, sondern erleben und nachfühlen. Ein paar Kleinigkeiten, die mich bei der Lektüre irritierten, da sie nicht hundertprozentig logisch erscheinen, werden später aufgeklärt – bevor also jemand Manuel Schulte Fehler in seinem Weltenbau vorwirft, sollte er oder sie den Roman besser auslesen 😀

Obwohl ich dem Verlag dankbar für das Rezensionsexemplar bin, musste ich feststellen, dass es eine ziemliche Herausforderung ist, „Memorabilia“ zu rezensieren … zumindest, ohne alles zu verraten. Denn der große Twist, der sich zuvor bereits mehrfach andeutet, ohne dabei sehr voraussehbar zu sein, verleiht der Geschichte ein gänzlich anderes Gesicht – nicht weniger hässlich, sondern anders hässlich: Die ersten vier Fünftel des Romans begleiten einen Protagonisten, der sich irgendwo zwischen einem gescheiterten Patrick Bateman und einem gemäßigten Raoul Duke einordnen lässt. Der Humor von Fred ist so schwarz wie seine Seele – eine Kombination, der ich oft und gerne erliege. Zartbesaiteten Menschen sei dagegen von der Lektüre abgeraten: „Daher packe ich sie am Nacken und zwinge meinen Schwanz in ihren Mund, drücke ihr meinen Ständer so tief in den Hals, dass sie anfangen muss zu würgen. Das stört mich nicht, penetriere weiter ihren Rachen und genieße den Druck ihrer Nase. Bei jedem Stoß. Sie scheint nicht so begeistert zu sein. Woher ich das weiß? Weil sie anfängt zu kotzen. Es ist ein seltsam zwiespältiges Gefühl, wie die warme Brühe an meinem Ding entlanggleitet und dann auf meinen Bauch spritzt. Eigentlich müsste ich Ekel empfinden, aber … ja, das macht mich geil.“ (Manuel Schulte: „Memorabilia“)

Das letzte Fünftel des Romans holt allerdings nicht nur Fred auf den Boden der Tatsachen zurück und zeigt unter anderem, woraus sich dessen schier grenzenloser Hass gespeist hat. Wie beim langsamen Abklingen einer Droge (das kommt bei all den Ausschweifungen des Protagonisten wohl nicht von ungefähr,) stellen die Leser*Innen erst allmählich fest, mit was für einem Menschen sie es wirklich zu tun hatten und haben.

Die letztlich tragische Figur weckte in ihrer Verzweiflung meine halb verschütteten Erinnerungen an William Foster in Falling Down. Dessen Ende ließ mich als heulenden Flauschball (eine kuschlige Decke gehört zum Filmabend schließlich dazu) auf meinem Sessel zurück. Derartig emotional beansprucht war ich nach der Lektüre von „Memorabilia“ nicht, doch einen Kloß im Hals hat mir der Schluss allemal verpasst. Und das, obwohl bei der Darstellung von Freds Hintergrunds gängige Klischees bedient werden, die nicht viel Neues bieten, aber überzeugen – zumal sie in den früheren Kapiteln bereits clever angelegt wurden. So kreativ, wie sich der Autor bei den Exzessen des Protagonisten zeigte, hätte er sich auch bei dessen Vorgeschichte bzw. Lebenssituation noch etwas stärker austoben können.

Manuel Schultes „Memorabilia“ weiß auf düstere Art und Weise zu unterhalten. Der Roman schafft es mit Leichtigkeit, die Leser*Innen von einer eher oberflächlichen Betrachtung des Protagonisten und seiner Welt wegzuschubsen und tief in dessen Mikrokosmos einzuführen. An machen Stellen bleibt mir die Handlung – abgesehen von den Schweinereien mit Blut und anderen Körperflüssigkeiten – jedoch zu steril.

 

 
Vier von fünf Ballen.