Für eine Person, die sich auf ihrem Blog hauptsächlich mit Texten aus dem Horrorgenre beschäftigt, ist es fast schon eine Pflicht, zumindest einmal die Messe „House of Horrors“ unsicher zu machen … Der gemeinsame Stand einiger HorrorautorInnen (vereinigt unter dem Wahlspruch „Written in Blood“) und ein von diesen organisiertes Lesecafé bestätigten mich in der Annahme, 2018 sei genau das richtige Jahr dafür. Und: Es hat sich gelohnt – jedenfalls aus Leseratten-Sicht.
Das House of Horrors 2018: Wenig originell, noch weniger organisiert
Die Messe selbst fand ich für den Preis von 25 Euro an der Tageskasse (Samstag) etwas einfallslos. Das liegt sicherlich auch daran, dass ich dem allgemeinen Personenkult um Schauspieler wenig bis gar nichts abgewinnen kann, zuweilen sogar befremdlich finde. Und dieser machte eben einen Großteil der Veranstaltung aus, während das Drumherum ziemlich lieblos wirkte. Ohne mich damit zu lange aufhalten zu wollen: Die Händlermeile bot die üblichen Merchandise-Verdächtigen (Actionfiguren, Schlüsselanhänger und T-Shirts) sowie einige gruftige Accessoires, deren Arrangement diese Bezeichnung zumindest einigermaßen verdiente, – und natürlich Filme, Filme, Filme. Die dazugehörigen Stände hatten teilweise einen richtig fiesen Ramsch-Charakter, was nicht nur am Sortiment lag, sondern auch an der Art der … nennen wir es Präsentation. Wenn die DVDs und Blu-Rays noch in abgeranzten Kartons auf dem Boden stehen, hilft eben auch das 2-Euro-Preisschild nicht mehr, das ohnehin nur noch halb an besagtem abgeranzten Karton klebt. Da im FSK-18-Bereich auch nach Herzenslust geraucht wurde, hatte der ein oder andere Film bestimmt ein besonderes Aroma. Sammler dürften angesichts der Horde von Mediabooks sicherlich trotzdem auf ihre Kosten gekommen sein.
Das Hauptproblem am House of Horrors bestand ohnehin in der Organisation. So war beispielsweise das Programm nicht vor dem ersten Veranstaltungstag auf der Website zu finden und der Hallenplan besser via Suchmaschine als auf den offiziellen Kanälen zu entdecken. Vor Ort gab es zwar einen Infostand, nur verdiente er den Namen leider nicht. Aufgrund meines ausgeprägten Interesses an Serienmördern wollte ich mir einen Vortrag zu diesem Thema natürlich nicht entgehen lassen. Der sollte auf der Bühne der Haupthalle stattfinden. Sollte. Selbstverständlich dachte ich zunächst, ich hätte mich in der Uhrzeit vertan oder wäre mal wieder am falschen Ort gelandet – sowas passiert mir schließlich häufiger.
Nachdem ich gemeinsam mit ein paar anderen Menschen etwa zehn Minuten die leeren Sofas auf dem Podest vor den Sitzreihen angestarrt hatte, ging ich dann doch zu besagtem Infostand, der allerdings keine Informationen hatte. Daher besorgte ich mir Nervennahrung und ließ mich ein weiteres Mal auf einem der Stühle nieder, in der Hoffnung, doch noch etwas Neues über prominente und vielleicht auch weniger bekannte Killer zu erfahren, wenngleich mit Verspätung. Nachdem der Vortrag bereits 40 Minuten laufen sollte, kehrte eine weitere Besucherin zurück ins wartende Publikum und informierte ihre Freundin (und alle anderen, die ihre Lauscher weit genug aufgesperrt hatten) darüber, dass der Vortrag laut Infostand ausfallen würde. […] Eine etwas zeitigere Benachrichtigung und ich hätte mein Abendessen stattdessen bei einem Filmscreening verputzt.
Besagten Filmvorführungen konnte man in einem ebenfalls sehr puristisch gehaltenen Bereich beiwohnen, der dafür aber gut von der restlichen Location abgeschottet war – anders als das Lesecafé.
Ich habe sowieso den größten Respekt vor AutorInnen, die Lesungen abhalten. Wenn diese im Halbdunkel (was zusammen mit der winzigen Leselampe meine Fotos etwas … kunstvoll-verschwommen aussehen lässt) und vor den üblichen Messegeräuschen stattfinden, ist das umso beeindruckender. Wie die Vortragenden es tatsächlich schafften, sich noch auf ihre eigenen Worte zu konzentrieren, während auf der Bühne in der Haupthalle jemand sprach, ist und bleibt mir jedoch ein absolutes Rätsel. Denn natürlich fanden alle anderen Programmpunkte im Gegensatz zu dem Serienmörder-Vortrag statt – und dröhnten einigermaßen ungefiltert ins Lesecafé. Daher: Hut/Mütze/Bandana ab vor euch, die ihr so souverän darüber hinweg gelesen habt!
Lesung I: „Tote Götter“ und „Rigor Mortis“ von Faye Hell
Für mich haben die Lesungen die ansonsten etwas unbefriedigende Messe stark aufgewertet – zumal es immer spannend ist, wenn man AutorInnen, von denen man schon (mehrere) Texte gelesen hat, das erste Mal von Angesicht zu Angesicht sieht und bei einer Lesung erleben darf. Und das ist genau das richtige Stichwort: Solltest du die Gelegenheit haben, eine solche Veranstaltung von Faye Hell zu besuchen … geh hin. Denn das, was die Autorin präsentiert, ist mehr als nur die Wiedergabe der niedergeschriebenen Worte. Es ist eine Inszenierung, ein stimmgewaltiges Theater, das seine eigene Kulisse durch die Wucht der gesprochenen, gewisperten, teils beinahe gebrüllten Sätze erzeugt. Anders gesagt: Faye, ich will ein Hörbuch von dir!
Zudem war die Lesung sehr persönlich und intensiv – so wie auch das Interview von The Coven mit Faye. Beispielsweise erzählte die Autorin, wie die Protagonistin von „Tote Götter“ zur Diagnose Multiple Sklerose kam – nämlich, indem Faye zu genau der Zeit am Roman arbeitete, als sie selbst auf einen entsprechenden Befund wartete. Obwohl ich „Tote Götter“ bereits gelesen und ausführlich bearbeitet hatte, war es wunderschön, noch einmal in das Diner zurückzukehren und – wie beschrieben – Fayes Inszenierung zu folgen.
Ein besonderes Highlight war natürlich die Vorab-Lesung zu ihrem dritten Roman („Rigor Mortis“), der in Kürze beim Papierverzierer-Verlag erscheinen wird. Zunächst erklärte Faye, weshalb sie sich diesmal dazu veranlasst sah, die Publikation mit einem Vorwort zu versehen – wegen einer Amazon-Bewertung zu „Keine Menschenseele“. Denn nach Meinung der Rezensentin ist der Roman „keine richtige Horrorgeschichte, sondern schlicht die niedergeschriebene Fantasie eines potentiellen Triebtäters“. (Spoileralarm: Bullshit.)
Aus diesem Grund hat Faye sich dazu entschlossen, sich in „Rigor Mortis“ vorab vom Gedankengut des Ich-Erzählers zu distanzieren. Zwar ist das ein nachvollziehbarer Schritt, aber zugleich finde ich es etwas beängstigend, wenn LeserInnen nicht mehr zwischen AutorIn und ErzählerIn unterscheiden können. Gerade, wenn gleichzeitig Texte wie „Die 120 Tage von Sodom“ als Weltliteratur gelten (was ich noch nie nachvollziehen konnte, aber ich bin ja auch keine Halstuch-bis-zu-den-Zehen-tragende Person des Feuilletons, sondern nur eine dahergelaufene Bloggerin, die sich wünscht, einmal die etablierte Literaturkritik zu Faye Hells Werken zu hören).
Rigor Mortis verwebt mehrere Erzählstränge – einer davon dreht sich um einen Talkmaster, der auf intelligente Weise die Schmerzgrenze seiner Gäste austestet und sich daran ergötzt. Seine Sprache ist brutal und kalt, sein Humor wirkt perfide. Er wird auf jeden Fall eine anstrengende Figur sein, die bei der Lektüre (heraus)fordert … denn das soll Literatur laut Faye sein: mehr als nur reine Unterhaltung, und dem kann ich vollkommen zustimmen. Schließlich leben die meisten Menschen (mich nicht ausgeschlossen) ohnehin in ihrer Filterblase – sei es nun online oder dadurch, dass sie sich in der Regel mit Personen anfreunden oder Beziehungen eingehen, die ähnliche Wertvorstellungen haben. In Kürze wirst du auf diesem Blog und anderswo mehr über „Rigor Mortis“ erfahren können – stay tuned!
Lesung II: „Ghost Stories of Flesh and Blood“ von und mit Thomas Williams, M.H. Steinmetz & Faye Hell
Passend zum Anthologie-Charakter von „Ghost Stories of Flesh and Blood“ und zum Herausgeber-Duo war die entsprechende Lesung auf dem „House of Horrors“ Teamwork. Drei Leute präsentierten sich vor dem leider schon etwas ausgedünnten Publikum des Lesecafés: Thomas Williams als der „Vorzeige-Autor“, wie er von den Herausgebern Faye Hell und M.H. Steinmetz genannt wurde, und besagtes Herausgeber-Team selbst, das ebenfalls die eigenen Kurzgeschichten zum Besten gab. Zunächst stellten sie die Anthologie kurz vor und gingen dabei auch auf die Entstehungsgeschichte ein, wie sie bereits ein wenig in den Vorworten beider angerissen wird.
Dann war Thomas Williams an der Reihe und las aus seiner Geschichte „Am Anfang vom Ende“. Sein Zugang zum Motiv des Haunted House unterschied sich deutlich von dem der anderen AutorInnen, und der gelesene Ausschnitt machte auf jeden Fall Lust auf mehr … (Als jemand, der den Text bereits ganz kennt, kann ich nur sagen: Es lohnt sich!) Und das gilt natürlich für alle Kurzgeschichten der Anthologie.
Faye präsentierte den Anfang von „Imaginarium“, der – anders als bei ihren zwei anwesenden Autorenkollegen – direkt ins Eingemachte geht. Ein weiteres Mal durfte man dem gelungenen Zusammenspiel von bildgewaltiger Sprache und ausdrucksstarker Inszenierung lauschen. Die Stelle, an dem Faye die Lesung beendete, zeigte deutlich, wie viel ein einziges Wort je nach Kontext aussagen kann. (In diesem Fall das „Ich“ des Protagonisten Brian, der danach das erste Mal seine Bedürfnisse erfüllt bekommt – wenngleich auf grausam verdrehte Art und Weise.)
M.H. Steinmetz hatte die – wie er selbst sagte – etwas undankbare Aufgabe, nach Faye zu lesen. Obwohl die Latte entsprechend hoch hing, musste auch er sich nicht verstecken, und seine sympathische Lesung von „Wicked Game“ wurde eigentlich nur noch von ihrem Ende getoppt: Wer mitten im Satz aufhört, den sollte das Karma in den nächsten Jahren mit einigen furchtbaren Cliffhangern bestrafen …
Hätte ich die Anthologie nicht schon vor der Lesung mein Eigen genannt, wäre ich definitiv danach um ein E-Book reicher gewesen. Falls du noch nicht überzeugt bist, kannst du hier etwas mehr zu meinem Gesamteindruck von „Ghost Stories of Flesh and Blood“ und über weitere der darin enthaltenen Kurzgeschichten erfahren.
Allgemein muss ich sagen, dass ich mir von der Messe mehr erwartet hätte – vor allem ein etwas innovativeres Konzept. Dennoch bot sie eine schöne Kulisse, um Faye persönlich kennenzulernen und einige andere, mir bereits gesichts- und geschichtenweise bekannte AutorInnen zumindest aus einigermaßen sicherer Distanz beobachten zu können. So sind sie eben, die Streuner … sie brauchen Zeit ?