Was ich erwartet habe:
Einen von seinen Trieben gänzlich abgestumpften Menschen, der nachts auf Friedhöfen Leichen ausbuddelt und – klar – fickt.
Denn Tiefe oder eine romantische Liebe zu den Toten lässt der Titel von Ethan Kinks Roman nicht vermuten. (Dafür weist das Pseudonym natürlich in eine bestimmte Richtung … )
Was ich bekommen habe:
Eine pervertierte Form von Yin und Yang, eine Art Dualismus aus menschlichen Abgründen, die sich weniger konträr gegenüberstehen, als man zunächst vermuten würde.
Und außerdem: eine raffiniert erzählte Geschichte mit Schilderungen, die zum Teil an die Schmerzgrenze gehen. Danke für das Rezensionsexemplar!
Klappentext (vom Redrum-Verlag):
Er ist reich, attraktiv, charmant, und der begehrteste Junggeselle der Stadt – sie ist eine abgefuckte, verdeckte Ermittlerin, die aufgrund ihrer Gewaltausbrüche beinahe ihren Job verloren hätte. Er ist ein nekrophiler Serienmörder – sie eine Sadistin, die gegen ihn ermittelt. Erik und Carina sind auf alles vorbereitet – nur nicht auf die Liebe …
Der Roman ist von den ersten Seiten an so unterhaltsam und fesselnd geschrieben, dass man als Leser*In bereitwillig jeder Rückblende folgt und gerne in Eriks Vergangenheit herumstolpert. Wie sehr der Autor sein Handwerk versteht, merkt man spätestens zum Ende des dritten Kapitels: Das Ereignis, auf das letztlich von Anfang an hingearbeitet wurde, könnte nun stattfinden – und wird von Ethan Kink einfach um ein Kapitel verschoben, indem er Carinas Perspektive dazwischen einfügt.
Trotzdem war zumindest ich schnell besänftigt, denn die Protagonistin vereinnahmte mich ebenso wie zuvor Erik. Mit Bäm, in die Fresse! ließe sich ihr Lebensmotto am ehesten beschreiben. Wobei sie sich in der Regel nicht auf das Gesicht eines Menschen beschränkt, wenn ihr impulsives Gemüt mal wieder explodiert oder sie ihren sadistischen Neigungen nachgeht. Ihr Humor ist fast so schwarz wie der von Erik, aber bitterer und weniger selbstgefällig. Wie ähnlich die beiden sich tatsächlich in einigen Aspekten sind, stellen sie gleichzeitig mit den Leser*Innen fest, was das Aufeinandertreffen der zwei, mehr ein Zusammenstoß, besonders reizvoll macht.
Carina und Erik verbindet unter anderem die tiefe Verachtung für hörige Menschen, allerdings aus – wie es zunächst scheint – ganz unterschiedlichen Gründen. Das Spiel mit Sein und Schein beherrschen sie und der Autor gleichermaßen. Daher bleibe ich an dieser Stelle lieber vage, denn ich möchte schließlich niemandem den Moment rauben, in dem er oder sie fassungslos mit dem aufgeschlagenen Buch in der Hand und offenem Mund die Buchstaben anstarrt. Im Nachhinein fielen mir natürlich diverse Textstellen ein, die noch die letzten Enthüllungen bereits angedeutet hatten …
Nun aber zum Leichenfick(er). Ethan Kink drückt es in seinem Nachwort treffend aus: Ein derartiger Titel sollte alle Menschen bereits ausreichend warnen – und für die unsicheren gibt es noch den Klappentext. Wer dennoch den Blick in das Buch wagt, wird nicht nur mit Nekrophilie, sondern auch mit der Darstellung von Gewalt in unterschiedlichsten Ausprägungen konfrontiert.
„Während mein Unterleib auf Jasmin einhämmerte, brachte ich den Meißel so in Position, dass er sich durch die leere Augenhöhle direkt in ihr Gehirn bohren würde. […] und plötzlich rissen die Nähte an ihren Lippen. Dicke rote Bäche quollen aus den Wunden und liefen ihr aus und in den Mund. Der Schrei war so schrill und vor allem so unerträglich laut, dass ich nicht länger zögerte. Ich holte aus und schlug zu, so fest ich nur konnte.
Vier Dinge geschahen nahezu zeitgleich. Erstens: Das Metall schob sich bis zum Anschlag senkrecht nach oben in ihren Schädel. Zweitens: Ihr nervtötender Schrei verstummte augenblicklich. Drittens: Ich ejakulierte so schnell wie nie zuvor, während ein wahrer Orkan der Gefühle in mir tobte. Und viertens: Der Besucherzähler auf der Seite hatte sich noch einmal fast verdoppelt.“ (Ethan Kink: „Der Leichenficker“)
Obwohl für Erik der Tod der Frauen an erster Stelle steht und ihn auf einer romantischen wie sexuellen Ebene befriedigt, finden sich im Verlauf des Romans noch weitere brutale Szenen – Vorspiel, wie er es nennt. Dennoch fehlt die von manchen Menschen vielleicht gewünschte sinnlose Aneinanderreihung von Grausamkeiten und Ekelszenen, die bei einer solchen Thematik möglich gewesen wäre. Stattdessen zeichnet sich Ethan Kinks Leichenficker durch eine erzählerische Finesse aus, auf die ich nicht verzichten möchte. Anlass zur Kritik gab lediglich manch ein Dialog, der etwas zu klinisch wirkte. Allerdings konnte das die Leselust (Lust … hust XD) bei der Lektüre meines ersten Hardcore-Romans über einen Nekrophilen kaum trüben.
Die Tortur und Tötung der Zwillingsschwestern Lara und Leoni erinnert vermutlich nicht nur mich an den bekannten Serienmörder Alexander Spessiwzew (oder Spesiwtsew), der bei allen Unterschieden ebenfalls dafür sorgte, dass einige seiner Opfer Zeugen der Folterung, Vergewaltigung und Ermordung anderer Opfer wurden. Dieses Bild vor meinem inneren Auge bekomme ich, seitdem ich das erste Mal davon gelesen habe, nicht mehr aus dem Kopf. Hinsichtlich seiner Psyche ist Erik wohl eher mit Jeffrey Dahmer zu vergleichen: Sein anfänglicher Leidensdruck wird anschaulich geschildert und trotz aller Verweise auf die Vergangenheit lesen sich die entsprechenden Kapitel des Leichenfickers niemals wie eine Entschuldigung, obwohl sie einiges (auch für ihn selbst) erklären.
Bei Carina sind es eher die Leser*Innen, die solche Zusammenhänge erkennen können. Die Protagonistin reflektiert ihr Verhalten viel weniger als Erik – erst durch ihr Zusammentreffen wird dieser Vorgang ausgelöst, wobei sie ein Ausmaß an Schwäche zeigt, das mich stutzig machte und das Schlimmste erwarten ließ. Glücklicherweise folgt Ethan Kink nicht dem ausgetretenen Trampelpfad gängiger Rollenklischees, sondern hält eine weitere Überraschung für das Ende bereit. Manchmal möchte ich spoilern … Doch nur so viel: DAS ENDE!!! Konsequenter hätte man „Der Leichenficker“ kaum beschließen können.
Fette Beute!
Fünf von fünf Ballen.