Comic-Lesung von TeMeL und Michael Barck: „No Borders“

Der Verein deutzkultur hat es sich zur Aufgabe gemacht, Kunst und Kultur „unabhängig von der Dicke des Geldbeutels“ erfahrbar zu machen … Mit dem Deutzer Kulturfestival „SommerStart 2018“ bewiesen sie ein weiteres Mal, dass dies nicht nur möglich, sondern eine Bereicherung auf vielen Ebenen ist – ich besuchte TeMeL und Michael Barck bei ihrer Comic-Lesung und war/bin absolut begeistert.

Der Hintergrund von „No Borders“: Internet, Datenkraken und Überwachung

Datenschutz ist aufgrund der DSGVO gerade in aller Munde – dass das Thema eigentlich immer präsent sein sollte, zeigte zuletzt der Skandal um Facebook und Cambridge Analytica (dessen ehemaliger CEO Alexander Nix mit weiteren Verantwortlichen inzwischen zu der Firma Emerdata weitergezogen ist). Während man an dem Thema DSGVO schon seit Monaten nicht vorbeikommt, hatte sich das Interesse an den Enthüllungen um das vermeintliche Datenleck bei Facebook schnell gelegt. (Wer hierüber ausführliche Infos sucht, wird zum Beispiel bei Netzpolitik.org fündig.) Natürlich liegt mein ständiges Stolpern über die DSGVO unter anderem an meiner Social-Media-Filterblase, dennoch kann ich den Gedanken nicht abschütteln, dass die meisten Menschen mehr Angst vor Abmahnungen als vor der missbräuchlichen Nutzung ihrer Daten haben.

Ein breiteres und nachhaltigeres Interesse zog der NSA-Skandal nach sich. Natürlich ist dieser von seinem Ausmaß her kaum mit den Machenschaften von Cambridge Analytica zu vergleichen, doch möglicherweise gibt es einen weiteren Grund für die große Aufmerksamkeit, die Edward Snowdens Enthüllungen zuteilwurde: Vor Beginn der Lesung fragte Michael Barck das Publikum (unter anderem), ob es die Datensammelwut eines Unternehmens oder die eines Staats kritischer sehen würde. Dabei bildete sich schnell eine Mehrheit für die Antwort „es kommt darauf an“, nämlich darauf, um welche Art von Staat es sich handelt. Dass eine Diktatur mit Datenkraken als gefährlicher eingestuft wird als ein demokratisch regiertes Land, ist wohl keine Überraschung, allerdings sollte dabei nicht vergessen werden, dass sich Demokratien aushöhlen und in Diktaturen umwandeln lassen – nicht nur durch einen erfolgreichen Putsch, sondern auch legal und langsam, wodurch die Änderungen nicht so augenfällig sind. Damit spielte Michael genau auf die Situation an, bei der man sich im Nachhinein erschüttert fragt, wie es überhaupt so weit kommen konnte. (Und vor der in Deutschland aus offensichtlichen Gründen immer wieder gewarnt wird und gewarnt werden muss – nicht wegen der Verantwortung für die Vergangenheit, sondern, weil wir die Verantwortung für unsere Gegenwart und Zukunft tragen.)

Die Comic-Lesung als Teil der Kulturfestival-Woche SommerStart 2018

Im Rahmen des diesjährigen SommerStarts von deutzkultur fand nun eine Comic-Lesung statt, die sich dem Thema der ultimativen Überwachung und seiner Konsequenzen annahm (Spoiler: und darauf aufmerksam machte, dass die Einschränkung von Freiheiten in der Regel keine Folge terroristischer Bedrohungen ist, sondern damit gerechtfertigt werden soll). Welche wichtige Rolle Daten hierbei spielen, wird in „No Borders“ an unterschiedlichen, trivial wirkenden Beispielen verdeutlicht, deren Botschaft klar ist: Nicht eine einzige Information ist unwichtig.

Michael Barck und TeMel: No Borders

Klappentext von „No Borders“:
Im Jahr 2025 ereignet sich ein Terroranschlag mit weitreichenden Folgen für die ganze Welt, es ist der Auslöser für die sprunghafte Zunahme von staatlicher Überwachung. Nach und nach müssen die Freiheiten des Einzelnen Zensur, Generalverdächtigungen und lückenloser Kontrolle weichen. Der Hacker Ho Zhing, der im China des Jahres 2040 lebt, will verhindern, dass es soweit gekommen ist. Mit einem ganz besonderen Plan, der Technik seiner Zeit und seiner neu entdeckten Fähigkeit durch die Zeit zu reisen (jedoch nur an Zeit und Ort mit Internetzugang gebunden) will er die Geschichte ändern.

Obwohl mir „No Borders“ bereits mehrmals über den Weg lief (zum Beispiel vom Tagesspiegel angepriesen als Comic-Thriller an der Schnittstelle von Matrix und Orwells 1984, habe ich den Titel aus finanziellen und zeitlichen Gründen sowie allgemeiner Verplantheit noch nicht im Bücherregal stehen, was sich allerdings bald ändern wird. Denn sowohl die Story als auch die visuelle Gestaltung konnten mich völlig überzeugen, und das sympathische Künstlerduo verstand es, meine Neugier auf den weiteren Handlungsverlauf zu wecken. Michael Barck und TeMeL lasen den Text der Sprech- und Gedankenblasen mit verteilten Rollen vor, während ein Beamer die entsprechenden Panels an die Wand warf. Verstärkung erhielten Autor und Zeichnerin dabei von Martin Wisniowski, der die Lesung musikalisch begleitete.

TeMel und Michael Barck bei der Comic-Lesung zu No Borders

Als Location diente das Constantin Pub, was ebenso ein Novum für SommerStart darstellte wie die Comic-Lesung an sich. Jens Hüttenberger, der erste Vorsitzende von deutzkultur, wies in seiner Eröffnung ebenso wie die Künstler darauf hin, dass Comics immer noch einen schweren Stand in der Literatur beziehungsweise ihrer Veranstaltungsszene haben und oft als Kinderkram abgestempelt oder schlichtweg ignoriert werden. Ein ganz so negatives Fazit würde ich nicht ziehen. Zum einen beheimatet die Leipziger Buchmesse jedes Jahr die Manga-Comic-Con, zum anderen widmet sich das Feuilleton schon seit einiger Zeit diesem Medium, das irgendwo zwischen Literatur, Bild- und Filmkunst zu verorten ist. Spätestens mit Flix und seinen Comic-Adaptionen literarischer Werke (Faust, Der Tragödie erster Teil und Don Quijote) hat sich zumindest im breiter gefächerten Kulturjournalismus ein Platz für Comics aufgetan.

Der Premierencharakter der Veranstaltung änderte nichts an ihrem professionellen Ablauf: Bei ihrer ersten gemeinsamen Lesung konnten Michael Barck und TeMeL, die mich mit ihrer herausragenden Vorlesestimme besonders begeisterte, sofort die Gunst des Publikums gewinnen. Mir gefiel auch die Untermalung mit elektronischer Musik, wenngleich die Umsetzung noch etwas verbesserungswürdig war. Als emotionale Verstärkung textloser beziehungsweise textarmer Panels passten die einzelnen Laute, die beispielsweise die Verwirrung der Protagonistin Jill „vertonten“, hervorragend ins Konzept. In den kurzen Lesepausen wirkte die Musik dagegen zu sehr wie ein Lückenfüller: Zumindest ich wollte eigentlich immer direkt weiter hören/lesen/sehen, weil mich die Story sofort gepackt hatte. Trotzdem hoffe ich, künftig noch mehr solcher Wahrnehmungsexperimente zu erleben, denn die Kombination verschiedener Sinne – für den Comic ohnehin essenziell – bietet interessante Möglichkeiten. Wie stark Comics auf die Bildebene angewiesen sind, zeigte sich, als bei der Präsentation eine Seite fehlte – der nur vorgelesene Text fiel in eine Leere. Das Künstlerduo meisterte diese Situation gekonnt und da bei Lesungen immer nur ein Ausschnitt eines Werks präsentiert werden kann, fand ich es eher erhellend als störend.

TeMels Artworks zu No Borders

Ein absolutes Highlight waren TeMeLs Artworks, die man nach der Lesung in Ruhe bestaunen durfte. Auffallend ist der Kontrast von düsterer Geschichte und bunter Inszenierung. Mit Verweis auf van Gogh erzählte die Künstlerin, dass sie Farben gerne in ihrer Symbolhaftigkeit darstellt oder so, wie sie diese empfindet.

Etwas Geduld brauchten TeMeL und Michael Barck bei der anschließenden Fragerunde: Obwohl die Entstehung des Comics im Vordergrund stehen sollte, gab es natürlich eine Person, die das überhaupt nicht interessierte, sondern lieber selbst eine kleine Vorlesung hielt und sich recht vorwurfsvoll erkundigte, warum „No Borders“ nicht in Deutschland spielen würde beziehungsweise keine deutschen Protagonisten beinhaltet. Das muss man sich allein aufgrund des Titels einmal auf der Zunge zergehen lassen. TeMeLs Tweet vom nächsten Tag ist eine gute Zusammenfassung dessen, was ich mir die ganze Zeit dachte (besagte Person hörte sich wirklich sehr, sehr gerne reden): Schade, dass man sowas noch erwähnen muss

Raum spielt in „No Borders“ keine Rolle, denn bei den Zeitreisen via Internet fallen Grenzen ebenso weg wie die Bedeutung von Staaten und Nationalitäten. Dass sie ohnehin irrelevant und ein recht willkürliches Gebilde sind, kann man ebenfalls als eine mögliche Lesart betrachten, der ich persönlich viel abgewinnen kann. Da mein Herz für Comics dank dieser Lesung wieder etwas schneller schlägt, landen nach „No Borders“ sicherlich noch weitere Titel auf dem SUB.