Chris Carter: Der Kruzifix-Killer

Chris Carter: Der Kruzifix-Killer (Ein Hunter-und-Garcia-Thriller 1)

Bei dieser Rezension kommt mal wieder das Blacklist aus dem Namen meines Blogs zum Tragen: War ich zuletzt mehr mit aktuellen Texten beschäftigt, geht es heute um einen Roman aus der „schwarzen“ Backlist des Ullstein-Verlags, der bereits vor zehn Jahren erschienen ist.

Klappentext (vom Ullstein-Verlag):

Er kennt keine Gnade. Er tötet grausam.
Und er ist teuflisch intelligent.

Los Angeles: Die Leiche einer wunderschönen Frau wird gefunden, zu Tode gequält und bestialisch verstümmelt. Keinerlei Spuren. Bis auf ein in den Nacken geritztes Kreuz, ein Teufelsmal: das Erkennungszeichen eines hingerichteten Serienmörders. Detective und Profiler Robert Hunter wird schnell klar, dass der Kruzifix-Killer lebt. Er mordet auf spektakuläre Weise weiter. Und er ist Hunter immer einen Schritt voraus – denn er kennt ihn gut. Zu gut.

Über Chris Carter stolperte ich schon vor einiger Zeit im Zuge einer spannenden Dokumentation über Kriminalliteratur und -filme. Mit dem Namen irgendwo zwischen Mitte und Untiefe des SUBs lebte es sich recht unbeschwert, sodass mich erst eine Arbeitskollegin an Chris Carter erinnern musste, bevor ich mich mit ihm beschäftigte. Also hieß es ran an den Text und – es folgte leichtes Erstaunen. Natürlich ist der Name „Hunter“ bezeichnend für einen Ermittler auf der Spur von Serienmördern … aber nicht sonderlich originell, zumal sich ja auch ein gewisser David Hunter seriell auf die Jagd nach Mördern begibt 😀

Die Genrebezeichnung Thriller macht dem Text von der ersten Seite an alle Ehre – Kapitel 1 und 2 spielen zu einem Zeitpunkt, an dem offensichtlich bereits einiges schiefgelaufen ist und nicht mehr zu einem glimpflichen Ende umgemünzt werden kann. Der Protagonist Robert Hunter, Kriminalpsychologe und Detective beim Morddezernat I von Los Angeles, erhält einen Anruf, der den Leser*Innen zweierlei mitteilt.
1. Hier spricht vermutlich ein sadistischer Serienmörder.
2. Der Partner von Hunter steckt in Schwierigkeiten beziehungsweise ist am Arsch.
Dieser Eindruck bestätigt sich in kürzester Zeit und deutet bereits ein wiederkehrendes Merkmal des Romans an, nämlich die Vorliebe für drastische, wenngleich kurze Schilderungen: „Ein Mensch, der an nekrotisierender Fasziitis stirbt, ist nicht gerade ein schöner Anblick. So ein Bild vergisst man nicht so schnell. Aufbrechende Blasen, aus denen gelbe Flüssigkeit läuft; ein Mensch, der aus Augen, Nase, Ohren, dem Zahnfleisch blutet; der bestialische Gestank; der unausweichliche Tod. Auf die Art bekommt der Killer seine Show.” (Chris Carter: „Der Kruzifix-Killer“)

Es folgt ein Zeitsprung zurück in die Vergangenheit, der die Geschehnisse vor dem 5. August, mit dem der Roman beginnt, aufarbeitet. Der Umstand, dass dabei die einzelnen Figuren, der aktuelle Kriminalfall beziehungsweise mehrere von Hunter bearbeitete Fälle vorgestellt werden, wirkt sich nicht ein einziges Mal negativ auf das Tempo der Geschichte aus. Dafür ist Chris Carter zu gut darin, Spannung aufzubauen, mit (vermeintlichen) Nebenschauplätzen zu spielen und selbst unbedeutenden Figuren Leben einzuhauchen.

Carter arbeitet mit dem inzwischen recht typischen Baukasten eines Thrillers: dem leicht grummeligen Helden, der zwar grundsätzlich dem klassischen Einzelkämpfer entspricht, aber dennoch eine Bindung zu seinem neuen Partner aufbaut und, wie weitere Hintergrundinformationen nahelegen, auch mit dessen Vorgänger eng verbunden war. Hunters Privatleben wird längst vom Job dominiert und erscheint damit beinahe ausgelöscht, weshalb die plötzliche Begegnung mit einer attraktiven Frau immer wieder die Frage aufkommen lässt, inwieweit es sich dabei – angesichts seines Jobs und seiner Vorgeschichte – wirklich um einen reinen Zufall handeln kann. Die persönliche Bedrohung durch einen Killer, der Hunter bereits einmal entwischt ist, steigert sich, wird von einem perfiden Spiel, das seine Unfähigkeit beweisen soll, zu einem äußerst intimen Kampf. Handwerklich gibt es nichts auszusetzen, vielleicht nur, dass der Autor manchmal zu bemüht ist, alle Werkzeuge des Baukastens einzusetzen, obwohl es nicht immer notwendig ist. Um eine Schraube zu lockern, benötigt man nun mal keine Bohrmaschine.

Das Milieu, in dem sich die Protagonisten in „Der Kruzifix-Killer“ bewegen, changiert zwischen dem glanzvollen L.A. im strahlenden Sonnenschein, eher fragwürdigen Lokalitäten im Halbdunkel der Stadt und finsteren, rattenverseuchten Kellern, in denen unbeschreibliche Grausamkeiten ihren Lauf nehmen. Nicht für Carter unbeschreiblich: Seine Schilderungen sind vielleicht nicht so explizit wie die Darstellungen in Horrorromanen, für einen Thriller sind sie jedoch relativ hart. Sie passen perfekt in das Extrem, das nur Rande gezeigt wird, aber beharrlich auf den Niedergang aller moralischen Integrität lauert. Der Fokus wird zwar nicht auf eine heile Welt gelegt, trotzdem weist die Geschichte verschiedene Nuancen des Guten und Schlechten auf und ist damit weit entfernt von der Hoffnungslosigkeit, die Detective Hunter stellenweise überfällt.

Ein Aspekt, der nach den tausendsten Folgen und Abklatsch-Sendungen von CSI irgendwas und Konsorten fast untergehen könnte, ist die differenzierte Darstellung der forensischen Polizeiarbeit. Es ist kein Novum mehr, wenn die Aktivitäten der Spurensicherung, des Gerichtsmediziners oder die Psyche eines Serienmörders näher beleuchtet werden, allerdings zeugen die vielen Details davon, dass Chris Carter weiß, wovon er schreibt. Bei meiner knappen Recherche dazu, welcher Roman als nächster in der Reihe folgt, kam ich nicht umhin, mich in diesem Eindruck bestätigt zu sehen: Der Brasilianer studierte forensische Psychologie und arbeitete sechs Jahre lang als Kriminalpsychologe – anders gesagt, er ist definitiv ein Mann vom Fach. Das lässt auch die Frage aufkommen, inwieweit es in den folgenden Büchern vielleicht noch weniger bekannte Insights zu entdecken gibt. Und die Frage, ob ein gewisser Vorfall in einem der Keller seine Nachwirkungen in „Der Vollstrecker“ entfalten wird … besagten Roman werde ich mir sicher nicht entgehen lassen.

Das Ende von „Der Kruzifix-Killer“ ist unvermutet versöhnlich, kommt dafür aber ohne einen fiesen Cliffhanger aus, der sämtliche Leser*Innen panisch zum nächsten Band der Reihe greifen lässt. Trotzdem bin ich aus den oben genannten Gründen schon sehr auf den zweiten Titel der Hunter-und-Garcia-Reihe gespannt.

Die Ähnlichkeiten zu Becketts David-Hunter-Romanen beschränken sich übrigens auf den Nachnamen des Protagonisten und das Genre an sich, was jedoch nicht heißt, dass man nicht die Bücher beider Autoren verschlingen kann (obwohl die letzten Titel in meinen Augen zugegeben deutlich schwächer ausfallen als der Beginn der Reihe – vielleicht überzeugt mich Simon Beckett demnächst wieder, denn „Die ewigen Toten“ ist druckfrisch auf meinem SUB gelandet).

 

 
Fette Beute!
 
Fünf von fünf Ballen.