„Todesgeil” von Bryan Smith gleicht einem Wimmelbild von diversen Psycho- und Soziopathen. Die einzelnen Charaktere, die dem geneigten Leser nach und nach begegnen, sind an sich schon interessant – in den verschiedenen Konstellationen, die der Autor für sie bereithält, ergeben sie im wahrsten Sinne des Wortes wahnsinnigen Lesespaß.
Klappentext (vom Festa Verlag):
Als Rob seinen Wagen volltankt, taucht dieses sexy Gothicgirl auf und hält ihm eine Knarre an den Kopf. Sie braucht einen Chauffeur, denn sie verfolgt vier Jugendliche, die über sie gelacht haben. Offenbar will sie die abknallen.
Rob kann es nicht fassen. Doch noch weniger versteht er sich selbst: Er will bei ihr bleiben, er will Sex mit ihr, er will ihr beim Morden helfen. Denn es tut gut, endlich seine Wut und Lust zu befriedigen …
Bryan Smith zeigt das einzig echte Monster: den Menschen. Fans von hartem Horror a la Richard Laymon, Jack Ketchum oder Brett McBean können hier bedenkenlos zugreifen. Bryan Smith schlägt voll zu – unter die Gürtellinie!
Das „sexy Gothicgirl“ und Rob bilden zwar den Rahmen, doch in diesem findet sich Platz für die nicht immer ganz so typischen College-Kids und einige (andere) ziemlich kranke Gestalten. Die relativ große Anzahl der Figuren stellt auch beim Lesen mit längeren Unterbrechungen kein Problem dar, denn ihre Charakterisierung erfolgt auf knappe, aber sehr prägnante Weise.
Der psychische Zustand der beziehungsweise des Handelnden bildet dabei jeweils eine von vielen verschiedenen Graustufen ab: Vom alternden, ungepflegten Serienkiller Zeb über zahlreiche Coming-of-Age-Geschichten von GewalttäterInnen bis hin zur angepassten Manipulatorin, die sich bei einem genaueren Blick schnell als absolut gefühllos entpuppt, reicht die Bandbreite.
Auch die harmlosen Figuren bieten mehr als man von ihren Stereotypen erwartet: Besonders bei dem Sportler Chuck erkennt der Leser zahlreiche Gedanken und Zweifel, die das Alphatier selbst irritieren und von seinem Vater nie geduldet werden würden.
Abgesehen von dieser (nur im Hintergrund wirkenden) patriarchalen Machokultur besticht „Todesgeil“ durch eine deutliche Umkehrung der üblichen Geschlechtszuweisungen. Da alle Frauen, die sich – in welcher Form auch immer – zu Täterinnen entwickeln, total überdreht sind, wird die Geschichte zu einem unterhaltsamen Ausflug in die Abgründe der Menschheit. Unterhaltsam deshalb, weil Bryan Smith ein Meister darin ist, vielfache Emotionen im Leser anzusprechen, und seine Figuren stets eine krasse Überzeichnung ihrer selbst sind, sodass man sich gänzlich in der Fiktion verlieren kann.
Nicht alle wirken dabei unsympathisch – besonders aufgrund der beschriebenen Mannigfaltigkeit der Durchgeknallten werden die ohnehin nicht immer klaren Grenzen zwischen vermeintlich „normalen“ Menschen und psychisch gestörten Personen aufgelöst. Und überall zeigt sich deutlich die Diskrepanz von Sein und Schein, am stärksten natürlich bei Emily. Sie erinnert zunächst an Kathryn Merteuil, die Intrigantin aus „Eiskalte Engel“, und je weiter die Handlung fortschreitet, desto mehr Einblicke in ihr wahres Wesen gibt es.
Noch spannender und auf den ersten Blick durchgeknallter ist natürlich Roxie:
„Ich bringe nicht jeden Tag Leute um. Scheiße, manchmal vergehen Monate, ohne dass ich jemanden umlege. Dann passiert etwas, irgendetwas, was es auslöst, so wie heute Morgen, und das verdammte Gemetzel geht los. Es ist etwas, das einfach raus muss, danach bin ich wieder eine Zeit lang normal. Na ja … normal für meine Begriffe.“
(Bryan Smith: „Todesgeil“)
„Todesgeil“ ist ein unfassbar temporeicher Roadmovie-Roman: Tatsächlich sind die Straßen und Abzweigungen metaphorisch zu sehen, wie vor allem bei Robs schmerzlichen Entscheidungsprozessen deutlich wird. Die Persönlichkeitsentwicklung – sei es aufgrund von kurzen und extremen Erfahrungen oder einem lange andauernden Unverhältnis in der Biografie – steht oft im Vordergrund, obwohl sie nur selten explizit genannt wird.
Ein weiteres Highlight: Bryan Smith versieht die intertextuellen Einschübe (in Form von Blogbeiträgen) mit einer anachronistischen Note und verwebt einige Ähnlichkeitsfäden zwischen den Persönlichkeiten derart gekonnt, dass er eine schöne falsche Fährte legt, um wen es sich bei dem dort schreibenden „durchgeknallten Girl“ handelt.
Auch der Showdown fernab von Straßen und billigen Motels behält die hohe Geschwindigkeit zunächst bei und steigert sie sogar noch. Danach möchte man zurück zur Küste und im Schutz der Dunkelheit einen tiefen Atemzug nehmen – was dem Leser aufgrund des Epilogs jedoch verwehrt wird.
Durch das relativ klare Ziel, actionlastige Szenarien und clevere Erzählereinschübe bleibt die Spannung von Anfang bis Ende sehr hoch. Lediglich im Bereich des Epilogs droht eine Flaute, die dortige Begegnung von Lindsey und Missy wirkt zudem etwas hingekritzelt. Dafür wird der Leser nach wenigen Seiten mit neuerlichen Twists belohnt, die große Lust auf den Nachfolger „Blutgeil“ machen.
Fette Beute!
Fünf von fünf Ballen.