Bryan Smith: Blutgeil

Buchcover von Bryan Smiths "Blutgeil"

Große Erwartungen – du kennst das vermutlich – garantieren die Ernüchterung. Zwar würde ich Bryan Smiths „Blutgeil“ keinesfalls als Enttäuschung bezeichnen, doch ein bisschen Katzenjammer konnte ich mir bei und nach der Lektüre nicht verkneifen. Denn obwohl die Hinführung zum eigentlichen Handlungsstrang äußerst gelungen ist, verpufft die aufgebaute Energie, anstatt sich in einer alles vernichtenden Explosion zu entladen.

Klappentext (vom Festa Verlag):

Ein Tornado der Gewalt

Roxie, die berüchtigte Serienmörderin Missy Wallace, ist wieder da. Sie will nur eines: blutige Rache.
Sie inszeniert ihren Amoklauf als Spiel, in dem jeder Spieler ein unkontrollierbarer psychopathischer Killer ist.
Doch Roxie spielt nie fair, und sie kann auch nicht verlieren …
Die Fortsetzung des Bestsellers Todesgeil.
Bryan Smith schreibt mit erbarmungsloser Härte. Dies ist kein traditioneller Gruselroman, sondern ein moderner Horrorthriller mit brutalen und verstörenden Beschreibungen. Bryan Smith zeigt das einzig echte Monster: den Menschen.

Während der Leser in „Todesgeil“ via Schnellzug in die Szenerie katapultiert wird, verweilt er bei der Fortsetzung zunächst in einer Bimmelbahn – oder besser, in einem Bus. Dieser fährt nach Nashville und hat eine altbekannte Figur als Passagier. Rob Scott wurde aus dem Knast entlassen, deutlich früher, als er es selbst je zu hoffen gewagt hatte, doch viel ist ihm nicht geblieben.
Der Romanbeginn fällt relativ behäbig und unspektakulär aus, zumindest bis Jane ihren Auftritt hat. Sie bietet Rob eine Bleibe an, für die er zwar kein Geld benötigt, die ihm aber dennoch teuer zu stehen kommt. Seine Persönlichkeit scheint sich nicht herausragend verändert zu haben, allerdings hat er deutlich an Neugier und Leichtigkeit eingebüßt. Zudem beginnt er sich zuweilen aus der absoluten Passivität zu lösen, die lange Zeit sein hauptsächliches Wesensmerkmal war.

Viel Raum bleibt ihm dafür nicht, denn Roxie will schließlich „die alte Gang zusammenbringen“ – und wo ein Wille Roxies, da auch ein Weg – der nun einmal über Leichen führt. Als das große Gemetzel endlich beginnt, wird die anfängliche Fokussierung auf Charakterentwicklung zusehends beiseitegeschoben. Das ist schade, denn vor allem im Hinblick auf das Wiedersehen mit Chuck birgt der neuerliche Blick in die Gedanken- und Gefühlswelt spannende Perspektiven.

Jane ist ein anderes Kaliber. Sie wirkt von Anfang an stumpf, eigentlich auch recht dumm. Sie soll nicht viel Empathie wecken, andernfalls hätte Bryan Smith sie mehr nach Roxies oder Julies Abbild kreiert. Ihr Leben findet allein zwischen Eros und Thanatos statt, noch radikaler als das von ihrem Idol Roxie. Deren Welt erweist sich im direkten Vergleich als wesentlich bunter – was nicht nur am vergossenem Blut liegt. Dass Jane ebenfalls ein Dasein gefristet hat, in der sie das Opfer war, kann man früh erahnen, wird allerdings nur am Rande erwähnt … passend zu ihrer Persönlichkeit, die enorm auf die Gegenwart ausgerichtet ist.

Die verschiedenen Lesarten der Geschehnisse aus „Todesgeil“ und der Umstand, dass sich nicht die Wahrheit in der öffentlichen Wahrnehmung durchsetzt, sondern die beste Inszenierung, verleihen der Geschichte ihre eigene Note, die deutlich auf das Intrigenspiel des Vorgängers verweist. Der Blick auf die Welt durch die Augen eines Serienmörders spielt insbesondere vor der Bildung des Killerkollektivs eine Rolle. In Julie zeigt sich der unwiderstehliche Drang der Süchtigen, die im Bewusstsein, alles zu verlieren, rückfällig wird:
„Ein weiterer Teil des Problems bestand darin, dass es in ihrem jetzigen Leben keine Sache gab, bei der sie sich so wunderbar lebendig fühlte wie damals, in diesen Wochen auf der Straße, zuerst mit Zeb und dann mit Rob und Roxie. Es erregte sie immer noch jedes Mal, wenn sie sich an den elektrisierenden Schauer erinnerte, den sie immer gefühlt hatte, wenn sie jemanden getötet hatte. Das Mädchen vor vier Jahren war ihr wahres Ich, daran zweifelte sie keinen Augenblick.“ (Bryan Smith: „Blutgeil“)

Die kurze Verweildauer bei den verschiedenen Parteien des Killerspiels bringt leider ein paar Einbußen mit sich. So wirken Emily und Julie an vielen Stellen wenig authentisch – nicht im Vergleich mit den Standards, die gemeinhin als normales Verhalten gelten, sondern in Bezug auf vorherige Handlungen und Denkweisen. Zwar war Julie schon immer relativ unreif und Emily manchmal zu sehr von sich selbst überzeugt, aber einige ihrer Fehler beziehungsweise Dummheiten scheinen sich nur zu ereignen, weil es für den Plot wichtig ist. Auch die Überlegungen zum Thema Suizid wirken äußerst oberflächlich.
Leider ist auch Roxie über lange Zeit hinweg nicht sie selbst – in ihrem Fall wird jedoch ein einigermaßen sinnvoller Erklärungsansatz geliefert und am Ende der Geschichte … das darf ich aus Spoilergründen nicht verraten. Nur so viel: Es lohnt sich.

Ein beachtlicher Teil der Gewaltexzesse findet zwischen den Zeilen und Seiten statt oder wird nachträglich aus der Perspektive von Figuren gezeigt, die in der jeweiligen Szene weder auf der Täter- noch auf der Opferseite standen. Diese Distanz wirkt sich auch auf den Leser aus, der anders als bei dem vermeintlichen Showdown zwischen Rob und Jane kaum zu Empfindungen angeregt wird. Das ist schade, weil Bryan Smith hier Potenzial verschenkt, das er in früheren Romanen zu nutzen wusste. So wirken manche der Darstellungen wie ein plumper Versuch, einen möglichst hohen Body Count zu erzielen. Die geringe Motivation einiger Protagonisten für ihre Auftragsmorde verführt dazu, auch in dem Text zumindest ab einem gewissen Punkt eine Auftragsarbeit zu vermuten, für die sich der Autor nicht ausreichend begeistern konnte. Dennoch war das – wenngleich etwas zu kurz geratene – Wiedersehen mit Roxie eine unterhaltsame Lektüre.

Ich bin gespannt auf Smiths neuen Roman „Die Freakshow“ – eine Rezension hierzu wird folgen, sobald ich die Spitze meines SUBs abgearbeitet habe.

 

 
Vier von fünf Ballen.