Tag 5 der Blogtour zu „Rednecks“: Mein Interview mit Faye Hell

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Blogtour Rednecks Hell/Steinmetz

Zur Veröffentlichung von „Rednecks“ hatte ich die Gelegenheit, Faye zu interviewen – über den ersten gemeinsamen Roman mit M.H. Steinmetz, die Details der spannendenen Zusammenarbeit und darüber, wie man es schafft, innerhalb der Hardcore-Literatur einem modernen Frauenbild gerecht zu werden.

Wer dir und M.H. Steinmetz auf Social Media folgt, weiß, dass ihr alles andere als eine Zweckgemeinschaft seid. Bei einem Statement zu eurem ersten Roman schreibst du: „Mario ist weit mehr als nur ein Autorenkollege, mit dem ich gemeinsam die quasi neue Marke STEINMETZ/HELL geschaffen habe. Er ist ein Freund, wie man ihn nur verdammt selten im Leben findet. Und man braucht gewiss unfassbar viel Glück, um ihn überhaupt zu finden.“ Wie habt ihr zwei euch kennen gelernt?

Den BuCon in Dreieich kennst du? Das ist die Veranstaltung, wo sich die phantastische Szene rumtreibt, während die anderen Buchwahnsinnigen sich auf der FBM umherschieben. Dort habe ich einen Bekannten getroffen, der zu mir gesagt hat: „Kennst du eigentlich den Steinmetz? Die Lesung solltest du dir anhören, das gefällt dir sicher.“ Das hab ich mir nicht zweimal sagen lassen und mich in die Lesung gesetzt. Nach der Lesung hat Mario von Serienmördern zu labern begonnen und ich hab mir gedacht: Ha! Dem fühl ich auf den Zahn.
Wie ist es gelaufen? Er hat mit Bravour bestanden. Und das Buch, aus dem er gelesen hat, ist heute eines meiner Lieblingsbücher: „666 – Hell’s Abyss“. Man kann also sagen, dass uns eine seiner liebsten Romanfiguren zusammengebracht hat. Lucy, die Protagonistin aus Hell’s Abyss.

Und dann habt ihr zusammen einen Kurzgeschichtenband herausgegeben – entwickelte sich daraus auch die Idee für „Rednecks“?

Die Idee zur Anthologie „Ghost Stories of Flesh and Blood“ kam uns auf der Leipziger Buchmesse 2018. Die Idee zum gemeinsamen Roman hatten wir erst Ende des Sommers. Uns hat einfach der Redrum Verlag sehr gefallen, weil alles so ambitioniert und professionell rübergekommen ist. Glaub mir, das kennen wir auch anders. Und dann haben wir uns gedacht: Nehmen wir das doch zum Anlass, zusammen was zu schreiben.
Obwohl … wir haben vor diesem Sommer schon mal über ein gemeinsames Buch gesprochen. Am WGT haben wir gescherzt, dass wir niemals einen Krimi schreiben würden, außer, wir würden das zusammen tun. Schlussendlich haben wir uns dann doch für Hardcore entschieden und ich glaube wirklich, dass das eine verdammt gute Entscheidung gewesen ist.
Faye Hell

Was gefiel dir am besten an dieser doch recht untypischen Art von Schreibprozess?

Es ist unfassbar motivierend, gemeinsam an einem Roman zu arbeiten. Die Ideen sprießen einfach doppelt so wild. Und sobald man das Kapitel des Schreibpartners bekommen hat, will man es lesen und ist dann begeistert und erst recht motiviert. Und wir harmonieren einfach perfekt. Die Ideen greifen ineinander und alles, was entsteht, entsteht nahezu von selbst.
Oft hat man massive Zweifel, weil bestimmte Umstände einem das Autorenleben nicht immer leicht machen. Kein Mensch ist eine Insel. Und zu zweit ist man einfach weniger allein. Du verstehst, was ich meine, oder?
Michael Merhi hat mir noch gesagt, dass es verdammt heikel wäre, gemeinsam ein Buch zu schreiben. Das ist es nicht. Nicht in unserem Fall. Da hat das Gemeinsame alles noch besser gemacht.

Wie kann ich mir das Prozedere bei dem Projekt überhaupt vorstellen? Ihr habt euch ja vermutlich nicht für eine bestimmte Zeit in einen Raum mit Schreibmaschine eingesperrt, oder?

Die Idee würde mir aber verdammt gut gefallen! Notiere: Zukunftstraum!
Wir haben quasi eine Idee aus einer meiner Kurzgeschichten und eine Idee aus einer von Marios Kurzgeschichten genommen und diese Ideen, oder besser gesagt Figuren, aufeinandertreffen lassen. Es hat sofort gefunkt.
Dann haben wir gemeinsam im Chat den groben Handlungsablauf festgelegt und ein Exposé verfasst. Danach haben wir geplottet und einen Kapitelfahrplan entworfen. Mario bekam zwei Handlungsstränge und ich bekam zwei Handlungsstränge. Geschrieben haben wir das Buch kapitelweise und immer abwechselnd. Ein schreibender Dialog.
Hell/Steinmetz: Different kind of Hardcore

Zu diesem Bild, einer Art Teaser vor der Romanveröffentlichung, hattest du gepostet, dass du und Mario ein Problem mit dem gängigen Frauenbild in harter/extremer Literatur habt – und es dementsprechend anders macht.

Was genau kann man sich darunter vorstellen?

Es war uns einfach unfassbar wichtig, mit den Rollenklischees zu brechen. Viele Hardcore-Bücher haben eine klassische Rollenverteilung. Da sind sie den sogenannten „Dark Romance“-Büchern gar nicht unähnlich. Die Frau ist irgendetwas zwischen Opfer und Wichsvorlage. Der Mann der mordende und vergewaltigende Wüterich. Und genau das wollten wir auf jeden Fall vermeiden. Was jetzt nicht heißt, dass unsere Frauen alle gut wegkommen oder wir deshalb Männer zu Objekten machen. Wir wollten das Konzept nicht einfach umdrehen, wir wollten es aufbrechen. Auch Mario ist wundervoll feinfühlig, wenn es darum geht, Frauen nicht mit Verachtung durch ein Buch zu jagen.

Glaubst du, dass du potenzielle Leser*Innen mit dieser Haltung/Herangehensweise abschreckst?

Nachdem wir beide dieses Bild gepostet hatten, haben wir sofort Likes auf unseren Seiten verloren. Was vielleicht daran liegen mag, dass es für manche wie eine politisch korrekte Kampfansage gewirkt hat. Dass jemand ernsthaft ein Problem damit hat, dass Frauen nicht per se Opfer sind, will ich mir erst gar nicht vorstellen.
Generell kann man sagen, dass sowohl Mario als auch ich in all unseren Büchern auf starke Frauenfiguren zurückgreifen. Ich will auch gar niemanden aufrütteln oder so. Ich bin da einfach wie Pippi Langstrumpf: Ich schreib mir die Welt, wie sie mir gefällt. Und mir gefallen starke Frauen.

Zu Beginn von „Rednecks“ tauchen zunächst relativ typische Geschlechterklischees auf: die harten, abgewichsten Biker, die drogensüchtige und schwache Prostituierte Marla, das mitleiderregende Wesen Cinnamon … und plötzlich, BÄM, Angel und Dust. Wolltet ihr die Leser*Innen erstmal dort abholen, wo sie vielleicht (noch) stehen, oder hat dieser Twist vor allem dramaturgische Gründe?

Es macht einfach Spaß, zuerst den Erwartungshorizont hingebungsvoll zu bedienen und dann bewusst damit zu brechen. Der Effekt hat es in sich, aber es ist dennoch nicht reine Effekthascherei. Gerade Marla durchläuft eine immense Entwicklung. Auch im Hardcore-Bereich ist es uns wichtig, dass Figuren Tiefe und Dynamik aufweisen. Eindimensionale, stoische Charaktere sind langweilig.
Ich liebe Angel und Dust. Unsere Betaleserin hat mir auch gleich gesagt, dass vor allem Angel verdächtig nach Hell klingt. Tja, damit kann ich gut leben.

Mario steht ebenso für „a different kind of HARDCORE“ wie du. Gab es beim gemeinsamen Schreiben des Romans trotzdem Stellen, an denen ihr euch uneinig wart? Das Perfide an Rollenklischees ist ja, dass man sie oft gegen besseres Wissen verinnerlicht hat.

Faye Hell
Es gab keine einzige Meinungsverschiedenheit. Wir waren uns bei jeder Entscheidung einig und mussten uns in keiner Szene verbiegen. Zwei schräge Geister, ein Gedanke. Könnte man so sagen, wobei das Geheimnis wahrscheinlich gerade das ist, dass wir uns in unseren Vorlieben und Werten doch recht ähnlich sind, und das, ohne einander zu langweilen. Jeder kreative Input wurde begeistert aufgenommen und umgesetzt.

Apropos Rollenklischees: Auch viele Frauen, die Hardcore schreiben, bevorzugen meiner Erfahrung nach männliche Täter und weibliche Opfer. Ist das für dich primär ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Situation oder sind Frauen einfach die „besseren“ Opfer?

Es ist das, was du lernst, siehst, erfährst. Täglich. Überall. Das, was dir die Gesellschaft mitgibt. Selbst in einer Zeit, in der viele versuchen, aus diesem Klischeedenken auszubrechen, ist es allgegenwärtig. Zehnjährige verlachen einen Burschen, der zum Beispiel gerne rosa Lama-T-Shirts trägt so lange, bis er sich das schwarze Batman T-Shirt überwirft. Das Beispiel ist nicht aus der Luft gegriffen. Erst, wenn wir nicht mehr darauf hinweisen müssen, dass man Klischees hinterfragen soll, haben wir die Klischees überwunden. Aber warum sind Klischees so erfolgreich? Das „Tolle“ an Klischees ist ja, das sie so einfach zu konsumieren sind, man wenig Fantasie braucht und auf altbewehrte Muster zurückgreifen kann. Es erfordert wenig. Vom Rezipienten und von dem, der mit einem stereotypen Blick durchs Leben geht.

Auf Facebook und Twitter konnte man lesen, dass „Rednecks“ möglicherweise nicht der letzte gemeinsame Roman von Hell/Steinmetz sein wird. Kannst du uns schon mehr verraten?

Etwas, das so reibungslos und wundervoll funktioniert, muss man einfach laufen lassen. Derzeit sind bereits andere Projekte geplant und vertraglich fixiert, die natürlich Vorrang haben. Aber die Partnerschaft ist noch lang nicht vorbei. Und wer weiß, vielleicht ist sogar genau diese Geschichte noch nicht zu Ende erzählt.

Das freut mich ungemein! Und ich muss gestehen, dass mir so ein Gedanke bei der Lektüre des letzten Kapitels von „Rednecks“ ebenfalls kam. Vielen Dank für das erHELLende Interview 😀
Blut geleckt? Beantworte mir auf der Facebook-Seite zur Blogtour meine Frage und du hast die Chance, einen Gutscheincode für „Rednecks“ zu gewinnen, der im Redrum-Shop eingelöst werden kann. Viel Glück!

Demnächst wirst du auf Vertigos Blacklist eine Rezension zu „Rednecks“ finden – zu „Keine Menschenseele“, „Tote Götter“ und „Rigor Mortis“ habe ich meine Jubelstürme bereits losgeschickt.