Der Name ist Programm – in Fleisch Sex beziehungsweise Fleisch 6 dreht sich alles um sexuelle Perversitäten. Da ich Band 3 und 4 der Reihe einigermaßen verschlungen hatte (und das als Vegetarierin/Dreiviertelveganerin), freute ich mich umso mehr über dieses Rezensionsexemplar.
Klappentext (vom Eldur-Verlag):
Kann Horror Literatur sein? Kann Horror Kunst sein? Oder endet jeder Versuch am Ende doch nur in der Aneinanderreihung billiger Schock- und Ekeleffekte? So fragten wir 2005, und das große Experiment hieß “Fleisch und andere Appetitverderber”.
Die Frage ist 13 Jahre und 5 maximal erfolgreiche Fortsetzungen später klar zu beantworten.
Die Fleisch-Bücher, Deutschlands erste Extremhorror-Reihe, ist inzwischen den meisten Lesern bekannt, sie ist und bleibt ein kompromisslos abstoßendes Sammelsurium kranker Phantasien für die Hartgesottensten unter den Hartgesottenen. Doch immer wurde und wird dabei auch auf den literarisch-künstlerischen Aspekt Wert gelegt. Das ist, worin sie sich bis heute von ihren zahlreichen Epigonen unterscheidet. Die hier versammelten Geschichten vereinen extreme Brutalität und Ekelhaftigkeit auf der einen Seite mit guten Plots, Spannungsbögen und Pointen auf der anderen Seite. Sogar ein wenig Humor darf nicht fehlen. Die Auswahl an sehr unterschiedlichen Autoren mit dem ihnen jeweils ureigenen Schreibstil sorgen dabei für maximale Abwechslung, so dass für jeden Geschmack etwas dabei ist.
Fleisch 6 ist ein Sonderband. In jedem Band bisher ging es neben Schmerz und Horror auch immer wieder auf sexueller Ebene sehr explizit zur Sache. Wie das Titelbild bereits andeutet, sind diesmal ausschließlich Geschichten vertreten, die in irgendeiner Weise mit Sex zu tun haben. Aber natürlich sind es allesamt Horrorgeschichten. Schmerz und Wahnsinn sind weiterhin das Leitmotiv der Königin der Horror-Anthologien!
Über die Feiertage hatte ich endlich Zeit, mich dieser schönen Bescherung zuzuwenden – weihnachtlicher wird es bei mir nicht … ? 😀
Was mir bei der Lektüre direkt ins Auge sprang, ist die thematische Vielfalt der Geschichten:
Die Anthologie bietet einen guten Querschnitt an Szenarien, die man bei dem Begriffspaar Fleisch und Sex im Horror-Kontext erwarten würde. Naturgemäß kann das nicht den Geschmack aller Leser*Innen treffen, da die einzelnen Beiträge auch stilistisch recht unterschiedlich ausfallen. Einige Texte triefen beispielsweise mehr vor Klischees als vor Blut – und das will bei der Anthologie etwas heißen.
Andere Titel sind dagegen in ihrer Darstellung derart übertrieben und unrealistisch, dass sie eher als Gore-Komödie durchgehen, was aber kein Minuspunkt sein muss – zumindest auf mich machte „Über den Tod hinaus“ von Holger Krass nicht den Eindruck, gänzlich ernst genommen werden zu wollen. Dennoch oder vielleicht gerade deswegen empfand ich den Beitrag als unterhaltsame Abwechslung, nicht zuletzt wegen der Detailverliebtheit und des fast schon ironisch bedächtigen Beginns. Die Wortwitze, von Anfang an als Hinweis darauf zu verstehen, was genau es mit Iris’ Zustand auf sich hat, fügen sich perfekt in das Konzept ein.
Manch ein Gewaltexzess mag überzogen wirken (beispielsweise in Chris Drews „Das Spiel der Fetische“), allerdings sollte man bei der Fleisch-Reihe inzwischen wissen, worauf man sich einlässt. Es handelt sich eben um extremen Horror und nicht um Mainstream-Grusel mit dem einen oder anderen Slasher-Moment. Dementsprechend geht es auch bei Fleisch Sex ans Eingemachte – in mehrfacher Hinsicht.
Meine drei persönlichen Favoriten bieten mehr als gute Horror-Unterhaltung, nämlich eine originelle Geschichte, die etwas den gewohnten Rahmen verlässt und/oder sprachlich besonders reizvoll ist:
Einziger Wermutstropfen von Fleisch 6: Trotz der Vielfalt an Szenarien stechen nur wenige Texte durch ihren Einfallsreichtum oder sprachliche Gewandtheit heraus – der Rest ist eine solide Unterhaltung für Horrorfans, kommt aber nicht ganz an die literarische Offenbarung heran, die der Klappentext verspricht.
Vier von fünf Ballen.