Kristina Ohlsson: Tausendschön

 
Kristina Ohlsson Tausendschoen

Välkommen tillbaka till Sverige!
Nach diversen Rezensionen zu Literatur aus dem Bereich Horror widme ich mich nun einer schwedischen Autorin, die sich mit ihrer Fredrika-Bergman-Reihe auf dem schmalen Grat zwischen Kriminalroman und Thriller bewegt. „Tausendschön“ ist der zweite Roman aus der Feder von Kristina Ohlsson, der die von Alex Recht geführte Spezialeinheit begleitet.

Klappentext (vom Blanvalet Verlag):

Der zweite Fall für die schwedische Kriminologin Fredrika Bergman

Ein junges Mädchen wird am Mittsommerabend überfallen und vergewaltigt. Fünfzehn Jahre später stirbt ein Mann bei einem Unfall mit Fahrerflucht, doch niemand scheint ihn zu vermissen. Zeitgleich begehen ein Pfarrer und seine Frau Selbstmord. Oder hat es nur den Anschein?
Das Team um Alex Recht und Fredrika Bergman beginnt zu ermitteln. Nicht nur der augenscheinliche Doppelselbstmord des Ehepaars wirft bald Fragen auf. Die Zeit läuft den Ermittlern davon, doch diejenigen, die ihnen die entscheidenden Hinweise geben könnten, hüllen sich in Schweigen …

Wie im Vorgänger „Aschenputtel“ kämpft die Spezialeinheit bei den Ermittlungen an mehreren Fronten, die nur teilweise mit dem Kriminalfall verwoben sind. Denn eine Besonderheit der Truppe liegt darin, dass sie nicht nur aus Polizisten besteht, sondern mit Fredrika Bergman eine Zivilangestellte aufweist. Vor allem die männlichen Kollegen sehen in dem Umstand, dass die Kriminologin der Universität und nicht der Polizeischule entstammt, immer noch ein Problem, während Fredrika sich selbst als Fremdkörper in der Einheit wahrnimmt. Daher fokussiert sich ein großer Teil des Romans auf die Schilderung der schwierigen Situation innerhalb des Teams und auch die Probleme der einzelnen Ermittler erhalten (leider zu) viel Raum.

„Tausendschön“ beginnt in der Vergangenheit, die ihre verfaulten Finger unweigerlich in die Gegenwart des Romans ausstreckt. Das Ereignis wird absichtlich unter nebulösen Umständen wiedergegeben, die sich nur nach und nach klären. Welche Tragik dem Geschehen zugrunde liegt und wie viele Menschen hiervon nachhaltig beeinflusst wurden, zeigt sich ebenfalls erst allmählich.
Da ich nicht zu viel verraten will, soll dir dieses Zitat lediglich als Richtungsweiser auf die Stimmung (und im übertragenen Sinne natürlich auf den Plot) des Thrillers dienen:
„Fredrika fiel eine getrocknete Blume auf, die hinter Glas und eingerahmt an der Wand hing. Ein gepresstes Tausendschönchen, so brüchig und alt, dass es jederzeit zu Staub verfallen könnte. Es hing ganz allein an der ansonsten kahlen Wand.“
(Kristina Ohlsson: „Tausendschön“)

Der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist irgendwo zwischen den Schwestern Karolina und Johanna verortet, deren Abwesenheit nicht nur die ermittelnden Polizeikräfte zu Spekulationen verleitet. Dem Wechselspiel aus Mutmaßung, gezielter Desinformation und kleinen Fenstern in die Wirklichkeit verdankt der Roman seinen Spannungsbogen ebenso wie einigen souveränen Twists. Immer, wenn du denkst, du seist auf eine Erkenntnis gestoßen, beweisen dir die folgenden Seiten das Gegenteil.

Die Geschlechterproblematik bleibt auch in „Tausendschön“ als wichtiger Aspekt erhalten:
Fredrika wirkt zwar vergleichsweise selbstbewusst, ist aber stellenweise noch nicht ganz überzeugt von ihrer eigenen Emanzipation – als Frau und Ermittlerin. Obwohl ihr nicht mehr alle männlichen Kollegen grundsätzlich die Fähigkeit abstreiten, eine gute Kriminologin zu sein, gockelt die Figur Peder Rydh nach wie vor auf einem riesigen konservativen Misthaufen herum. Der Polizist hat zudem ein neues Objekt gefunden, das er zur Kompensation der eigenen Unsicherheit attackieren kann: Seinen Kollegen Joar, der ein bisschen wie die männliche Version von Fredrika anmutet und ein spannender Charakter hätte sein können, wenn ihm Ohlsson dafür den nötigen Platz gelassen hätte.
Dass Peder eigentlich nur Probleme mit sich und seiner Beziehungssituation hat, wobei er sich seinem Bruder sowie den eigenen Söhnen gegenüber als netter Mensch präsentiert, wirkt ein bisschen zu entschuldigend: Wo auch immer Aggressionen herkommen, die zugrundeliegenden Einstellungen kanalisieren lediglich die Richtung, in die sie fließen. Oder banaler ausgedrückt: Jemand, der ein Problem mit mächtigen oder gar überlegenen Frauen hat, wird nicht plötzlich Feminist, nur weil sich seine Lebensumstände verbessert haben.
Das Schlüsselerlebnis hinsichtlich der Thematik war für mich, dass Fredrika die „väterliche Wertschätzung“ benötigt, mit der Alex sie vor versammelter Mannschaft versieht, um endlich auf Augenhöhe wahrgenommen zu werden.

Im Vergleich zum ersten Roman der Reihe gewinnt „Tausendschön“ an Lesefluss: Nicht nur die Charakterzeichnung, sondern auch die Erzählweise wirkt deutlich gefestigter. Die Spannungskurve baut sich rasch und kontinuierlich auf, bricht aber leider etwas zu früh ein. Denn während die LeserInnen anfangs trotz einiger Schlaglichter im Dunkeln tappen, wird am Ende zu viel und zu schnell enthüllt – das ein oder andere ungelöste Rätsel hätte dem Thriller gutgetan. Beachtlich fand ich dagegen die Aktualität der Geschichte – das Thema Geflüchtete wird von Ohlsson (in der Originalausgabe) bereits fünf Jahre vor der Krise aufgegriffen.
Emotionen werden in „Tausendschön“ ebenfalls großgeschrieben: Der unheilvolle Ausgang der Ermittlungen, eine Versöhnung mit Ankündigung und noch mehr Tragik hinterließen bei mir einen Kloß im Hals, der nach der Lektüre noch etwas länger als Gast blieb. Dagegen half auch nicht die Erkenntnis, dass sich innerhalb der letzten Seiten ein unnötiges Maß an Kitsch verbirgt. 😀

 

 
Vier von fünf Ballen.