Bryan Smith: Die Freakshow

Bryan Smith: Die Freakshow

Obwohl ich Bryan Smith seit Jahren zu meinen Lieblingsautoren zähle, hatte ich nach „Blutgeil“ eine relativ lange Zeit ausgeharrt, ohne mich seinen neueren Romanen zu widmen. Diese Durststrecke hat nun ein Ende, da mir der Festa-Verlag ein Rezensionsexemplar von „Die Freakshow“ zukommen ließ – vielen Dank dafür!

Klappentext (vom Festa-Verlag):

Als die Zirkuswagen mit den Freaks durch Pleasant Hills rollen, verändert das die ruhige kleine Stadt für immer.
Denn wenn der Vorhang sich hebt, zeigt man nicht die üblichen Tricks. Die Hauptattraktionen sind die Folterungen – und die Stars der Show sind die ahnungslosen Besucher selbst.

Spätestens seit der vierten Staffel von American Horror Story dürfte das Konzept der Freakshow hinreichend bekannt sein – was Bryan Smith daraus gebastelt hat, ist allerdings hübsch abgedreht, und zwar auf eine für den Autor typische Art und Weise. Seiner Vorliebe für Abstrusitäten und Mutanten ließ er bereits in Romanen wie „Verkommen“ freien Lauf. Dabei verhalten sich diese vermeintlichen Monster nur selten brutaler als einige der betont bösartigen Menschen, die unter ihnen zu leiden haben – oft genug kann man deren Schmerz als gerechte Strafe für zuvor begangenes Unrecht interpretieren.

In „Die Freakshow“ verwischen die Grenzen zwischen opportunistischer Mittäterschaft und genuiner Lust an Grausamkeiten schon früh. Wieder spielt Smith mit der moralischen Integrität seiner Leser*Innen und bereitet pflichtbewusst den Nährboden für ein gewisses Maß an Schadenfreude vor, beispielsweise wenn Craig ein Auge auf eine bestimmte Person wirft … Zumindest ich hätte ihm am Ende durchaus ein noch qualvolleres Ende zugestanden, gerade im Vergleich zu dem, was seine Freundin Heather durchmacht.

Der Einstieg in den Roman fiel mir erstaunlich schwer. Möglicherweise liegt das am eher unscheinbaren Protagonisten Mike, aus dessen Perspektive (nach einem arg reißerisch aufgemachten Prolog) zunächst erzählt wird; vielleicht hätte man die unterschiedlichen Zeitebenen seiner Erinnerungen auch raffinierter verknüpfen können. Doch das unvermittelte Auftauchen weiterer Figuren, ein atypischer und daher für Smith umso charakteristischerer Handlungsverlauf nach einem Beziehungsstreit im zweiten Kapitel sowie der Auftritt eines todbringenden Clowns konnten zügig Abhilfe schaffen. Und spätestens auf den Seiten 57 und 58 sprang der mörderische Funke endgültig über und ich dachte nur: BÄM, da ist er ja wieder, einer meiner Lieblingsautoren ☠ 😀

Wenn man sich Bryan Smith als Koch vorstellt, hat dieser ein Grundrezept, das sich nach Belieben variieren lässt und dadurch niemals langweilig wird: Man nehme ein paar Figuren (ein Arschloch, mindestens eine weibliche Kämpfernatur, einen Paladin und ein paar chaotische Menschen irgendwo zwischen oder jenseits von Gut und Böse), mische sie mit ein paar Mutanten oder Monstrositäten und werfe die heterogene Masse in einen Schnellkochtopf. Nachdem der Temperaturregler der entsprechenden Herdplatte auf die höchste Stufe gedreht wurde, kann man unter kräftigem Rühren beobachten, was passiert beziehungsweise wem zuerst der Kopf (oder in einer Vorstufe: der Kragen) platzt.

Auch in der Freakshow fungiert eine Extremsituation als Motor für die Entwicklung der Figuren. Ihre Verwebungen untereinander, allen voran das Wiedersehen von Heather und Craig, sorgen für Spannung und entfalten ihr ebenso dramatisches wie brutales Potenzial.
Garniert wird das blutige Festmahl mit Smiths wundervoll schwarzem Humor:
„Da er ganz eindeutig im Arsch war, bestand also kein Grund, jetzt noch diplomatisch zu sein. ‚Ich schwöre bei Gott, hätte ich jetzt ein Messer, würde ich mir die Augen ausstechen, damit ich dich nicht mehr sehen muss, du elende Missgeburt.‘ Die funkelnden Augen des hübschen Kopfes sahen ihn entzückt an. ‚Was für eine hervorragende Idee, Craig.‘ […] Craig wimmerte, als sie ihm das Messer in die Hand drückte. Seine Blase entleerte sich und er spürte feuchte Wärme an seinen Beinen hinunterlaufen. Der hässliche Kopf kicherte bösartig. Der hübsche Kopf lächelte und bat: ‚Zeig es mir!‘“ (Bryan Smith: „Die Freakshow“)

Der ursprüngliche Lebensraum der Freaks wird zwar lediglich skizziert, aber wie so oft gelingt es Amerikas Slasher-König, mit relativ wenigen Worten starke Bilder und stimmige Szenerien zu erzeugen.
In vielen Fällen wirkt es besonders gelungen, wenn die Auflösung, was es mit einer unbekannten Welt oder den Motiven der handlungstragenden Bösewichte auf sich hat, erst am Ende erfolgt. Für „Die Freakshow“ funktioniert das Konzept allerdings nur teilweise – denn der Spannungsbogen wird davon kaum beeinflusst, während etwas mehr Informationen zu Beginn des Romans das Einfinden in die Welt erleichtert und ein größeres Identifikationspotenzial mit manchen Figuren geschaffen hätten. Dass beispielsweise Jinx die längste Zeit mit verdeckten Karten spielt, passt zu ihrem Charakter und ist wichtig für die Dramaturgie. Als Mensch, der beide Welten über einen längeren Zeitraum er- und überlebt hat, ist sie eine bemerkenswerte Persönlichkeit, über die ich gerne mehr erfahren hätte. Ihr ein paar weitere Seiten zu widmen und dafür an der Präsenz von eher langweiligen Funktionsträgern wie dem Colonel zu sparen, hätte die Lektüre für mich noch interessanter gestaltet.

Daneben gibt es einen Aspekt, der mich nach der Lektüre etwas verwundert zurückließ (Vorsicht, Spoiler!): Eigentlich ist die Rede davon, dass die Städte, in denen solche Freakshow-Massaker stattgefunden haben, anschließend mit Klonen der getöteten Bewohner besiedelt werden. Somit dient die Ermordung der Einwohner nicht allein dem sadistischen Vergnügen der Freaks, sondern primär der Unterwanderung der menschlichen Welt. Gleichzeitig gilt die Stadt Dandridge als ausgelöscht und wurde von der Regierung zum Schauplatz eines terroristischen Anschlags erklärt, um das dortige Gemetzel zu vertuschen. Weshalb es hier zu solch einer Abweichung kam, die durch ihre frühe Erwähnung zudem eine gewisse Erwartungshaltung erzeugt, kann zumindest ich nicht nachvollziehen.

Obwohl mich Bryan Smith ein weiteres Mal gut unterhalten hat, kann ich keine Bestnote vergeben. Dennoch werde ich dem Autor die Treue halten und hoffe, bald Zeit für „Abschaum“ zu finden – der Vorgänger „Verkommen“ nimmt schließlich immer noch einen ganz besonderen Platz in meinem mentalen Bücherregal ein.

 

 
Vier von fünf Ballen.